Adventskonzert 2o12


Andreaskirche Seth

 

© 2o12 Ev.-Luth. Kirchengem. Stuvenborn
Quelle: Kirchenpost 4/2o12

 

Moderationstext/Weihnachtsgeschichte: 

Hilfe, die Herdmanns kommen (Barbara Robinson, 1972|1974)

Die Herdmann-Kinder waren die schlimmsten Kinder aller Zeiten. Sie logen und klauten, rauchten Zigarren und erzählten schmutzige Witze. Sie schlugen kleine Kinder, fluchten auf ihre Lehrer, missbrauchten den Namen des Herrn und setzten den alten, verfallenen Geräteschuppen von Fred Schumacher in Brand. 

Ralf, Eugenia, Leopold, Klaus, Olli. Wir waren überzeugt, dass sie direkt auf die Hölle zusteuerten, mit dem Umweg über die staatliche Besserungsanstalt – bis sie sich mit der Kirche und unserem Krippenspiel einließen, weil Charlie dem Leopold Herdmann erzählt hatte, dass jeder dort jede Menge Süßigkeiten gibt. 

Und schon am nächsten Sonntag waren sie da. Sie schlurften in die Kirche und hielten gespannt Ausschau nach den Süßigkeiten. Es war unser Pech, dass die Herdmanns gerade diesen Sonntag erwischten, an dem die Kirche Essensspenden für das Waisenhaus sammelten, denn als sie all die Dosen mit Spaghetti, Bohnen, Erdnussbutter und Pampelmusensaft sahen, mussten sie annehmen, dass doch etwas Wahres an dem war, was Charlie über die Süßigkeiten erzählt hatte. Also blieben sie. 

Die Rollen für das Krippenspiel wurden eingeteilt. Weil niemand sich traute, etwas zu sagen (aus Angst vor Schlägen von den Herdmanns), spielte Eugenia die Maria, ihr Bruder Ralf den Josef. Auch für die Weisen aus dem Morgenland meldete sich niemand außer Leopold, Klaus und Olli Herdmann. 

Eine Herdmann und eine Hauptrolle waren noch übriggeblieben, und es bedurfte keiner besonderen Klugheit, sich auszurechnen, dass Hedwig den Verkündigungsengel spielen würde. 

Die erste Probe: Die Herdmanns wussten nicht das Geringste von der Weihnachtsgeschichte. Also wurde sie noch einmal vorgelesen. Erstaunlich war, dass die Herdmanns alles genau wissen wollten und immer fragten, wenn sie etwas nicht richtig verstanden hatten. 

Man hätte denken können, die Weihnachtsgeschichte käme direkt aus den Polizeiakten des FBI, so gingen die Herdmanns mit. Sie wünschten dem Herodes ein blutiges Ende, sorgten sich um Maria, die ihr Baby in einen Futtertrog legen musste, und nannten die Heiligen Drei Könige eine Bande schmutziger Spione. Und als sie die Probe verließen, diskutierten sie darüber, ob Josef die Herberge einfach hätte anzünden oder ob er nur den Gastwirt über die Grenze hätte jagen sollen. 

Heiligabend: Zunächst lief alles wie immer. Pünktlich um halb acht begann das Krippenspiel. 

Ralf und Eugenia traten auf. Eine Minute lang standen sie einfach da, als ob sie nicht sicher seien, dass sie am richtigen Ort waren. Sie sahen aus wie die Leute, die man manchmal in der Tagesschau sieht: Flüchtlinge, die irgendwo an einem fremden, kalten Ort wartend herumstehen, umgeben von Pappkartons und Säcken. Plötzlich wurde mir klar, dass es der echten Heiligen Familie genauso ergangen sein muss, einquartiert in einem Stall, von Leuten, denen es egal war, was mit ihnen geschah. 

Als nächstes kam Hedwig hinter dem Engelchor hervor. Sie schubste die anderen aus dem Weg oder trat ihnen auf die Füße. Da Hedwig die einzige war, die in dem Krippenspiel etwas zu sagen hatte, nutzte sie das auch aus. „He! Euch ist ein Kind geboren!“ schrie sie, und es klang wirklich wie die beste Botschaft der Welt. Alle Hirten zitterten und fürchteten sich – vor Hedwig natürlich, aber jedenfalls wirkte es gut. 

Danach hatten wir ein bisschen Ruhe, während die Jungen sangen „Wir sind die Drei Könige“ und die Zuschauer sich umdrehten, um den Auftritt der Heiligen Drei Könige nicht zu verpassen. 

„Was haben die denn da?“ flüsterte Alice. Ich wusste es nicht. Aber was es auch war, es war jedenfalls schwer. Leopold ließ es fast fallen. Dafür hatte er das Gefäß mit Weihrauch nicht dabei, und Klaus und Olli hatten gar nichts in der Hand, obwohl sie Gold und Myrrhe mitbringen sollten. 

„Ich wusste ja, dass so etwas passieren würde“, sagte Alice wieder. „Ich wette, es ist was ganz Schlimmes.“ „Was denn zum Beispiel?“ „Zum Beispiel ein Brandopfer. Du kennst doch die Herdmanns.“ 

Gut, sie zündeten manchmal Sachen an. Aber das hier war nichts zum Anzünden: es war – ein Schinken. 

„Sie verderben alles“, flüsterte Alice. Ich fand, dass die Herdmanns nichts verdarben, sondern im Gegenteil das Krippenspiel um vieles verbessert hatten, indem sie einfach das taten, was ihnen logisch erschien. Zum Beispiel, dass sie das Baby auf den Rücken klopften und einen Schinken für ein besseres Geschenk hielten als eine ganze Menge parfümierter Öle. 

Es war wirklich das beste Krippenspiel, das jemals aufgeführt wurde. Das sagte hinterher jeder, aber niemand schien zu wissen, warum es so war. Für mich war das Merkwürdigste, dass ich jahrelang über das Wunder von Weihnachten und das Geheimnis von Jesu Geburt nachgedacht und es nie wirklich verstanden hatte. Aber jetzt, durch die Herdmanns, schien mir das alles nicht mehr so geheimnisvoll. 

Was mich betrifft, so wird Maria immer etwas von Eugenia Herdmann haben, ein bisschen unruhig und verwirrt, aber bereit, jeden zu verprügeln, der ihrem Baby zu nahe treten will. Und die Heiligen Drei Könige werden für mich Leopold und seine Brüder sein, mit einem Schinken in der Hand. 

Als wir an diesem Abend aus der Kirche kamen, war es kalt und klar. Der Schnee knirschte unter unseren Füßen, und die Sterne leuchteten hell, sehr hell. Und ich dachte an den Verkündigungsengel, an Hedwig mit ihren dünnen Beinen und ihren schmutzigen Stiefeln, die unter ihrem Kostüm vorschauten, an Hedwig, die uns allen zurief: 

„He! Euch ist ein Kind geboren!“